Fakultät für Human- und Sozialwissenschaften

Regenerative Tourism in Iceland: Governance, Community Development, and Local Value Creation in the Transition Toward Sustainable Tourism Structures

Das Ziel dieser Dissertation ist es, zu untersuchen, wie sich der Tourismus in Island im Spannungsfeld von ökologischer Tragfähigkeit, sozialer Resilienz und wirtschaftlicher Wertschöpfung transformiert und welche Rolle regenerative Ansätze dabei für Governance, Gemeinschaft und lokale Ökonomien spielen. Aufbauend auf der theoretischen Verknüpfung analysiert das Forschungsvorhaben, wie lokale Akteur*innen in unterschiedlichen Raumtypen (urbanen, ruralen und peripheren Regionen) Strategien entwickeln, die eine regenerative Destinationsentwicklung ermöglichen, um touristische Belastungen in erneuerbare Entwicklungsimpulse zu überführen. Damit soll ein Beitrag zur internationalen Debatte über nachhaltige und resiliente Tourismussteuerung geleistet werden, indem theoretische Konzepte mit empirisch fundierten Handlungsperspektiven verbunden werden.

  1. How do patterns of tourism growth and spatial concentration differ across Iceland’s urban, rural and peripheral regions, and what socio-ecological impacts arise from these developments? 
  2. How do local communities and tourism stakeholders perceive, implement, and negotiate the principles of regenerative tourism within their specific regional contexts?
  3. What role do local value chains and circular economic linkages play in strengthening community resilience and equitable benefit distribution in Iceland’s tourism regions?
  4. In what ways do governance structures and policy frameworks at national, regional, and community levels enable or constrain regenerative tourism practices?
  5. How can Iceland’s diverse regional approaches to tourism regeneration contribute to a transferable model of governance for peripheral and island destinations worldwide?

Das forschungsleitende Interesse dieses Projekts ist daher dreifach: 

  1. empirisch die raum-zeitliche Entwicklung des Tourismus in Island der letzten Dekade präzise zu fassen;
  2. theoretisch den Regenerationsansatz mit Governance- und Community-Perspektiven zu verschneiden; und
  3. anwendungsorientiert zu zeigen, wie Governance-Instrumente (Indikatorik, Zertifizierung, Besucherlenkung, partizipative Formate) konkret zu resilienteren sozialen und ökologischen Ergebnissen führen können.

 

 

Tourismus ist in Island in den vergangenen zehn Jahren zu einem zentralen ökonomischen und gesellschaftlichen Treiber geworden, welcher neben deutlichen Chancen auch spürbare Belastungen für Ökosysteme, Infrastrukturen und Gemeinschaften mit sich bringt. Nach einem rasanten Wachstum bis zum Rekordjahr 2018 erholte sich der Sektor nach der pandemiebedingten Unterbrechung bemerkenswert schnell: 2024 zählte Island knapp 2,3 Millionen ausländische Übernachtungsgäste, womit das Vor-Pandemie-Niveau zu 97,6 % wieder erreicht wurde (Statistics Iceland, 2024a). Diese Zeitreihe zeigt den Zyklus eines peripheren Tourismusbooms: deutlicher Anstieg 2012–2018, Rückgang 2019, massiver Einbruch 2020, beschleunigte Erholung 2021–2024 (Sæþórsdóttir et al., 2020). 2023 erreichte der Tourismusanteil am Bruttoinlandsprodukt mit 8,8 % einen historischen Höchstwert (Durchschnitt 2016–2019: 8,2 %; 2022: 7,5–7,8 %) (Statistics Iceland, 2024b). Damit hat sich der Beitrag nach der Pandemie nicht nur normalisiert, sondern die Vor Pandemie-Werte übertroffen, was ein Indiz für robuste Nachfrage, aber auch für steigenden Steuerungsbedarf darstellt (Mowforth & Munt, 2016). Auf Nachfrageseite bleibt die Saison- und Raumkonzentration prägend. So verzeichnete allein August 2024 rund 609.000 Hotelübernachtungen (+ 2,3 % gegenüber 2023), mit besonders starken Zuwächsen in der Südregion (+ 5,6 %) und der Hauptstadtregion (+ 4,9 %) (Statistics Iceland, 2024c). Diese Spitzen belasten Verkehr, Schutzgebiete und lokale Infrastrukturen überproportional und erzeugen Governance-Herausforderungen, die weit über betriebliche Anpassungen hinausreichen. Vor diesem Hintergrund gewinnt regenerativer Tourismus als Leitidee an Gewicht. Anders als klassische Nachhaltigkeit, die vorrangig auf Schadensminimierung und Effizienz setzt, zielt Regeneration auf die aktive Wiederherstellung sozial-ökologischer Systeme ab (Bellato et al., 2023). Destinationsentwicklung wird als komplex adaptiver Prozess verstanden, der ökologische Integrität, kulturelle Identität und lokale Wohlfahrt verbinden und mehren will (Macintyre et al., 2024). Konzepte wie place-based value creation und zirkuläre lokale Wertschöpfung knüpfen dabei an Territorialkapital und community-basiertes Wissen an (Romão & Neuts, 2022). Die Governance-Dimension ist dabei zentral: Regeneration gelingt nur, wenn multi-level governance, also Staat, Regionen, Gemeinden und Betriebe koordiniert handeln und Partizipation nicht additiv, sondern ko-produktiv organisiert wird (Saarinen & Gill, 2019). Island verfügt hier über Piloträume, die international Aufmerksamkeit erzeugen. Die Halbinsel Snæfellsnes war die erste europäische EarthCheck-Certified Destination (Platinum-Status seit 2018), deren indikatorenbasierte Steuerung Emissionen, Energie, Wasser, Abfall und soziale Effekte erfasst (EarthCheck, 2023). Solche Zertifizierungen sind kein Selbstzweck, sondern Governance-Werkzeuge, die transparente Messung, Lernschleifen und Stakeholder-Einbindung institutionalisieren (Helgadóttir et al., 2023). In urbanen Zentren wie Reykjavík bündeln sich zugleich Cluster-, Politik- und Logistikfunktionen des Sektors, was die Hauptstadtregion zu einem Scharnier zwischen globalen Märkten und lokaler Gemeinschaft macht (Hall et al., 2020). Regionale Muster, etwa die Südküste als Hochintensitätskorridor mit Sommerpeaks, Nordisland mit spezialisierten Angeboten (Walbeobachtung, Geothermal- und Vulkanlandschaften) und Snæfellsnes als Regenerationslabor unterstreichen, dass räumlich differenzierte Steuerungsansätze benötigt werden (Sæþórsdóttir et al., 2020). Die verfügbaren Statistiken ermöglichen, diese Muster zu quantifizieren und mit qualitativen Einsichten aus Expert*inneninterviews zu verbinden, um lokale Wertschöpfungsketten, Community-Dynamiken und Schutzgebietsmanagement vergleichend zu analysieren (Kuckartz & Rädiker, 2022).

Das Konzept des regenerativen Tourismus markiert einen grundlegenden Paradigmenwechsel in der Tourismusforschung und -praxis. Anders als klassische Nachhaltigkeit, die auf der Verringerung negativer Effekte und dem Prinzip „do less harm“ beruht, geht Regeneration über den Erhalt hinaus und zielt auf die aktive Wiederherstellung ökologischer, sozialer und kultureller Systeme (Bellato et al., 2023). Regeneration versteht sich damit als proaktiver, systemischer Ansatz, der Tourismus als integralen Bestandteil eines lebendigen, wechselseitig abhängigen Beziehungsnetzes zwischen Mensch und Umwelt begreift (Macintyre et al., 2024). Theoretisch knüpft er an Konzepte der sozial-ökologischen Systemtheorie, des place-based management und der resilience thinking-Schule an (Folke et al., 2016). Regenerativer Tourismus betrachtet Destinationen als komplexe adaptive Systeme, in denen Lern-, Feedback- und Erneuerungsprozesse zentral sind. In der aktuellen Forschung wird Regeneration zudem als ethischer und kultureller Prozess diskutiert, der auf Werte wie Fürsorge, Achtsamkeit und gegenseitige Verantwortung aufbaut (Bellato et al., 2025; Pollock, 2019). Studien aus Neuseeland (Fusté-Forné & Hussain, 2022) und Hawaii (Lemarié & Bellato, 2025; Hanau, 2025) zeigen, dass regenerative Praktiken dort entstehen, wo lokale Gemeinschaften aktiv an der Gestaltung touristischer Prozesse beteiligt sind und der Tourismus als Werkzeug zur Stärkung lokaler Identität und Ökosystemgesundheit genutzt wird. Im Kontext des Tourismus rückt Governance die interaktive, horizontale und vertikale Koordination zwischen Staat, Markt, Zivilgesellschaft und lokaler Gemeinschaft in den Fokus. Ergänzt wird dieser Ansatz durch das Konzept des Stewardship, das Verantwortung und Fürsorge für gemeinsame Güter, z.B. etwa Landschaften, Ressourcen oder kulturelles Erbe betont (Plummer & Fennell, 2009). Im Sinne von multi-level governance (Hooghe & Marks, 2020) entsteht touristische Steuerung in einem Netzwerk aus nationalen Strategien, regionalen Clustern, lokalen Initiativen und betrieblichen Praktiken. Gerade in peripheren Inselkontexten wie Island zeigt sich, dass adaptive Governance Systeme, die Lern- und Feedback-Mechanismen zulassen, erfolgreicher auf Krisen (z. B. COVID-19) reagieren und nachhaltige Transitionen ermöglichen (Helgadóttir et al., 2023; Saarinen & Gill, 2019). Das Prinzip von Stewardship erweitert Governance um eine normative Dimension. Es geht nicht nur um Steuerung, sondern um Sorge für das Gemeinsame. Der Ansatz des Community Development bildet eine zentrale Grundlage für die Verknüpfung von regenerativem Tourismus und sozialer Transformation. Er versteht Entwicklung als bottum-up initiierte, partizipative und empowerment-orientierte Gestaltung lokaler Lebensbedingungen. Im Tourismuskontext wird dieser Ansatz durch das Konzept des Community-Based Tourism (CBT) operationalisiert, das lokale Kontrolle, Nutzenverteilung und kulturelle Authentizität betont (Giampiccoli & Saayman, 2016). Community Development geht davon aus, dass soziale Kapitalbildung, Vertrauen und kollektives Lernen Voraussetzungen für nachhaltige Entwicklungsprozesse sind. Im regenerativen Ansatz werden Gemeinschaften nicht als Empfänger von Tourismusentwicklung, sondern als aktive Ko Produzenten von Wohlstand, Identität und Landschaft verstanden (Aquino & Burns, 2021). Für Island eröffnet diese Perspektive neue Wege der Destinationsentwicklung. Regeneration kann helfen, Übernutzung zu reduzieren, Biodiversität zu schützen und kulturelle Narrative, z.B. Landnutzung, Sagas und Gemeinschaft, neu zu beleben. Forschungslücken bestehen insbesondere darin, wie Regeneration institutionell verankert und wie sie in bestehende Tourismus-Governance-Strukturen integriert werden kann. Prinzipien des Community-Developments lassen sich insbesondere in kleineren Gemeinden außerhalb der Hauptstadt beobachten, wo touristische Aktivitäten mit kulturellem Erbe, Handwerk oder Umweltbildung verknüpft werden. Empirische Arbeiten (Aquino & Burns, 2021) zeigen, dass dort, wo lokale Akteur*innen in Entscheidungsprozesse eingebunden sind, eine höhere Akzeptanz, Innovationskraft und ökologische Verantwortung entsteht. Gleichzeitig entstehen strukturelle Spannungen. Machtasymmetrien zwischen internationalen Reiseveranstaltern, zentralstaatlicher Planung und lokaler Bevölkerung können Community-basierte Prozesse schwächen (Scheyvens, 2011). Daher ist die Integration von Community Development in Governance- und Regenerationsstrategien entscheidend, um langfristig gerechte und resiliente Systeme zu schaffen. 

Die empirische Grundlage der Dissertation bilden qualitative Expert*inneninterviews, die in vier isländischen Regionen durchgeführt werden. Ziel dieser qualitativen Herangehensweise ist es, tiefgehende Einsichten in Wahrnehmungen, Strategien und Handlungsmuster zentraler Akteur*innen im Kontext des regenerativen Tourismus zu gewinnen. Das methodische Design folgt den Prinzipien der interpretativen Sozialforschung, die auf Verstehen und Rekonstruktion sozialer Bedeutungen zielt (Misoch, 2019). Die Wahl des Expert*inneninterviews basiert auf der Annahme, dass Expert*innen über institutionalisierte Handlungs- und Deutungskompetenzen verfügen, die für die Gestaltung und Umsetzung regenerativer Tourismusstrategien maßgeblich sind. Im Zentrum stehen Entscheidungsträger*innen aus Tourismuswirtschaft, Verwaltung, regionaler Planung, Zivilgesellschaft und Wissenschaft. Die Interviews werden leitfadengestützt durchgeführt, wobei der Leitfaden auf theoretisch fundierten Themenfeldern (Regeneration, Governance, Gemeinschaft und lokale Wertschöpfung) aufbaut und zugleich Offenheit für individuelle Sichtweisen gewährleistet (Helfferich, 2011). Die Fallauswahl folgt dem Prinzip der maximal kontrastierenden Stichprobe (Baur & Christmann, 2021). Dieses Verfahren zielt darauf ab, möglichst unterschiedliche Kontexte und Perspektiven einzubeziehen, um systematische Vergleichbarkeit und theoretische Sättigung zu erreichen. Daher werden pro Region drei bis fünf Interviews mit Akteur*innen aus unterschiedlichen institutionellen Kontexten geführt. Durch diese Kontrastierung, etwa zwischen urbanen und peripheren Räumen, zwischen öffentlichen und privatwirtschaftlichen Akteur*innen oder zwischen Regionen mit unterschiedlichem touristischem Entwicklungsstand, wird die Bandbreite regenerativer Praktiken sichtbar gemacht und eine analytische Verallgemeinerung ermöglicht (Kuckartz & Rädiker, 2022). Die Auswertung erfolgt auf Grundlage der qualitativen Inhaltsanalyse nach Mayring (2015) in Verbindung mit der strukturierenden Inhaltsanalyse nach Kuckartz & Rädiker (2022). Beide Verfahren kombinieren deduktive und induktive Kategorienbildung. Ausgangspunkt sind theoretisch fundierte Hauptkategorien (z. B. Governance, Regeneration, Partizipation), die im Verlauf der Analyse anhand des empirischen Materials weiter ausdifferenziert werden. Die Kodierung erfolgt mithilfe der Software MAXQDA, um Transparenz und Nachvollziehbarkeit zu sichern. Durch iterative Vergleiche zwischen den Fällen werden Muster und Kontraste herausgearbeitet, die Rückschlüsse auf regionale Unterschiede und übergeordnete Steuerungsmechanismen erlauben. Ziel ist eine theoretische Verdichtung der Befunde zu einem Modell regenerativer Tourismusgovernance in Inselräumen. Die methodische Triangulation von Theorie, Kontext und Akteur*innenwissen stärkt die Validität der Ergebnisse (Baur & Christmann, 2021; Misoch, 2019). Zur Gewährleistung der Güte qualitativer Daten werden die Kriterien Transparenz, Reflexivität und Nachvollziehbarkeit konsequent umgesetzt (Helfferich, 2011). Reflexive Memos begleiten den gesamten Forschungsprozess, um den Einfluss der Forscherinnenrolle kritisch zu reflektieren. Nach der Pretestphase erfolgt eine Zwischenauswertung, um den Leitfaden und die Kategorien bei Bedarf zu präzisieren. Insgesamt ermöglicht die gewählte Methodik eine tiefgreifende, theoriegeleitete und zugleich kontextsensible Analyse der Mechanismen, durch die Island auf unterschiedlichen räumlichen Ebenen regenerative Tourismuspraktiken entwickelt, aushandelt und steuert.

  • Hanau, A. (2025). Rethinking Tourism in the Pacific: Regenerative Tourism and the Case of O’ahu, Hawai’i. Journal of Arctic Tourism, 3(1), 35–42. https://doi.org/10.33112/arctour.3.1.5  
  • Hanau, A. (2024). Regenerativer Tourismus auf Hawai'i?! - Transformationsbemühungen von sun, sea, sand zu sun, sea, sand, sustainability. Ein Forschungsprojekt im Rahmen der Masterarbeit. In: Freericks, R.; Brinkmann, D. (Hrsg.): Dimensionen der Nachhaltigkeit in Freizeit und Tourismus. 7. Bremer Freizeit.kongress. Bremen 2024, IFKA. (ISBN 978-3-926499-71-4 ). https://doi.org/10.26092/elib/3609

2025

  • 11.09.2025: Workshop für Tourismusfachleute und Forscher:innen mit Schwerpunkt auf Regionalentwicklung und Wissensaustausch in ländlichen Gebieten zusammen mit Dr. Jessica Aquino in Hvammstangi, Island.
  • 09.09.2025: Workshop für Tourismusunternehmer:innen und Forscher:innen, die Grundlagen und Umsetzungsmöglichkeiten des regenerativen Tourismus auf lokaler Ebene kennenlernen möchtezusammen mit Dr. Jessica Aquino in Reykjavik, Island.
  • 13.03.2025: "Reviewing the Hawaiian approach to regenerative tourism on O'ahu - a case study" auf der Nordic Regenerative Tourism Conference in Siglufjördur, Island.

2024

  • 27.08.2024: "Rethinking tourism - examining the potentia for a successful implementation of regenerative tourism on O'ahu, Hawai'i" auf dem 35. International Geographical Congress in Dublin, Irland.
  • 31.05.2024: "Regenerativer Tourismus auf Hawai'i" auf dem 7. Bremer Freizeitkongress: „Dimensionen der Nachhaltigkeit in Freizeit und Tourismus. Analysen – Perspektiven – Projekte“, in Verbindung mit Jahrestagung AkTF.